Recycling in der Bauwirtschaft: die drei Kernansätze, ihre Chancen und Grenzen

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Die deutsche Bauwirtschaft ist in einer paradoxen Situation: Ohne sie keine energieeffizienten und klimaneutralen Gebäude und so mithin keine Gebäudewende – doch gleichzeitig gehört sie durch den für das Bauen nötigen Energieaufwand zu den Branchen mit dem höchsten CO2-Ausstoß. Ein möglicher Ausweg aus der Misere ist der Umstieg auf eine zirkuläre Bauwirtschaft. In den Tiefeninterviews, die wir für die BauInfoConsult-Studie „Die grüne Bauindustrie“ mit Bau- und Energieexpertinnen und -experten geführt haben, zeichnen sich drei wesentliche Konzepte ab, durch deren Kombination eine zirkuläre Bauwirtschaft realisiert werden kann. Doch alle drei bieten Chancen und haben ihre Grenzen. Wie kann die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft gelingen?

Die Idee einer zirkulären Bauwirtschaft fußt bekanntlich auf dem Begriff der „zirkulären Wertschöpfung“. Der Grundgedanke dahinter ist relativ simpel: Die zirkuläre Wertschöpfung hat das Ziel, die eingesetzten Rohstoffe innerhalb eines Produktkreislaufs im Idealfall an den Ursprung zurückzuführen, um sie dann wieder erneut nutzen zu können.

Damit werden sämtliche Roh- und Werkstoffe am Ende des Wertschöpfungsprozesses zu den Nährstoffen neuer Kreisläufe, indem sie in den neuen recycelten Produkten einen Mehrwert bilden. Damit umfasst der Begriff den gesamten Wertschöpfungsprozess vom Produktdesign bis zum Recycling.

Die drei Ansätze: weniger bauen, zirkulär produzieren, so viel „gebraucht“ wie möglich
Der Entwurf einer nachhaltigen Bauwirtschaft, den unsere Befragten in der Studie „Die grüne Bauwirtschaft“ mehrheitlich favorisieren, ist auf dieses zirkuläre Prinzip gegründet und reagiert auf das eingangs beschriebene Paradoxon des für Klimaneutralität nötigen, aber eben selbst klimaschädlichen Bauens mit einem weiteren paradoxen Ansatz: Das Ziel ist eine Bauwirtschaft zwar nicht ganz ohne Neubau, aber mit einem so geringen Neubauanteil wie möglich:

  • Erstens, indem nur noch dann Ersatzneubau möglich sein soll, wenn die bestehenden Gebäudestrukturen nachweislich nicht umgebaut und wiederverwendet werden können.
  • Zweitens, indem bei den doch noch benötigten neu produzierten Baustoffen möglichst auf nachwachsende Materialien zurückgegriffen werden soll. Neben einer Entwicklung nachhaltigerer Materialien geht es dabei auch um die Einbindung von Baustoffen aus dem Recycling– genau das ist der Punkt, an dem die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie intensiv arbeiten, der aber noch mit massiven Schwierigkeiten verbunden ist.
  • Und drittens, indem der zirkuläre Ansatz konsequent verfolgt und so viel bestehendes Material wie möglich in den laufenden Bauprojekten (Bestands- wie Neubau) wiederverwendet bzw. erneut in den Kreislauf integriert werden soll. Auch hier steht die Industrie vor einem Balanceakt.

Erstens: Bauwirtschaft auf Neubaudiät?

Ansätze einer neuen Gebäude- und Wohnraumnutzungskultur hängen mit der möglichst nachhaltigen Nutzung von Raum und der Entscheidung für oder gegen Neubau, Sanierung oder Umbaumaßnahmen zusammen. Bezogen auf die rein bauliche Seite des Themas bedeutet eine konkrete Gestaltung eines zirkulären Bauansatzes im Endeffekt, dass möglichst viel der bereits in den bestehenden Gebäuden gespeicherten „grauen“ Energie weitergenutzt werden soll, anstatt neu zu bauen und so erneut CO2 zu verbrauchen.

Am Anfang nachhaltigen Bauens steht somit ein „Weniger ist mehr“-Ansatz, der nicht nur die Ausstattung des Gebäudes oder den Grad der Gebäudewärme, sondern auch das Bauen selbst betrifft – es geht darum, nicht mehr oder weniger zu bauen als nötig bzw. den Neubau eventuell ganz bleiben zu lassen und stattdessen durch eine intelligentere Alternative zu ersetzen.

Verschiedene Forschungsinstitute verweisen dagegen auf die demografische Entwicklung und fordern seit Jahren eine bessere (und bezahlbare) Wohnraumversorgung durch mehr Neubau. Die aktuelle Regierung hat sich bekanntlich nicht umsonst die Aufgabe gesetzt hat, 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu realisieren (auch wenn sie mit diesem Ziel 2022 erneut krachend gescheitert ist und diese Zielmarke wohl auch in absehbarer Zeit kaum erreicht werden dürfte).

Ganz abgesehen davon, dass das 400.000 Wohnungen-Ziel aktuell mit der aufziehenden Neubaukrise infolge der Baupreis- und Zinserhöhung kollidiert, ist diese Vorstellung auch einem Großteil der von uns befragten Expertinnen und Experten für das „grüne“ Bauen eher suspekt, da sie den Neubau künftig eher als Ergänzung und die energetische Ertüchtigung oder die bedarfsgerechte Umnutzung der bestehenden Gebäude als Kern einer zukünftigen, „grüneren“ Bautätigkeit sehen möchten. Dennoch bleibt es ein Drahtseilakt, die richtige Mischung aus Bestands- und Neubaumaßnahmen zu finden.

Eine Schlüsselrolle spielen bei den Überlegungen zur Neubau-Diät nicht zuletzt die leerstehenden Immobilien im Bestand. Insider aus der Immobilienbranche sprechen in Bezug auf viele überalterte und nicht selten leerstehende Objekte gerne flapsig von „Schrottimmobilien“ (in erster Linie, weil sie vom Marktwert her reiner „Schrott“ sind, aber auch, weil sie im wörtlichen Sinne als „schrottreif“ gelten und in der Regel nach Erwerb vom Investor abgerissen und durch neue (und eben nicht mehr zum „Schrottpreis“ bewohn- oder anders nutzbare) Immobilien ersetzt werden.

Diese gängige Art, mit Nutz- und Wohngebäuden aus dem Bestand umzugehen, wird von den Befürworterinnen und Befürwortern einer nachhaltig und zirkulär agierenden Bauwirtschaft selbst für schrottreif erklärt. Gerne wird auf Ansätze verweisen, den (Ersatz-)Neubau zu vermeiden oder bestenfalls teilweise durchzuführen.

Nicht nur die letztlich technische Entscheidung von Baufachleuten, ob teilweise alte Strukturen noch genutzt werden können, statt überalterte Gebäude komplett abzureißen, spielt eine Rolle, sondern auch die grundsätzliche Herangehensweise, wie Gebäudestrukturen von den potenziellen Bewohnern genutzt werden können – Stichwort Umnutzung und Teilen der bestehenden Flächen statt immer mehr neue Flächen zu bauen und anzuhäufen.

Und auch, wenn neu gebaut wird, sollte sich die Baumentalität aus Sicht einiger Expertinnen und Experten ändern – etwa, wenn man die Menge an mineralischem Bauschutt von vornherein dadurch verringert, dass man weniger Materialmasse in die Bauwerke packt – was im Endeffekt beim Rückbau zu weniger anfallenden Bauabfallmengen führt. Die Grundmasse von Bauwerken ließe sich nicht zuletzt auch dadurch verringern, dass man die Gebäude per se kleiner baut.

Vor allem für den Wohnungsbau wird die Frage aufgeworfen, ob die deutschlandweite durchschnittliche Wohnungsgröße von 92,1 m² in 2021 überhaupt notwendig ist, oder ob nicht auch kleiner Wohnflächen reichen. Zugegeben, dieses Konzept dürfte zwar sinnvoll sein, jedoch aktuell größtenteils an den persönlichen Präferenzen der meisten Bauherren vorbeigehen.

Zweitens: Recycling am Bau – Wege zur Umsetzung
Grundsätzlich gehören das schlichte Recycling von Materialien bzw. die Entwicklung von Materialien, die möglichst wenige Abfälle hinterlassen, genauso wie die möglichst konsequente Vermeidung bereits bestehende (Gebrauchs-)Produkte wegzuwerfen, zum Modell des zirkulären Wirtschaftens, doch aktuell stehen wir in Deutschland (und beileibe nicht nur in der Bauwirtschaft) günstigstenfalls erst auf einem niedrigen Integrationsniveau, d. h. am Beginn einer Hinwendung zu mehr Recycling von Material im Verwertungskreislauf.

Besonders deutlich wird das beim Thema Recycling von Wand- und Dämmstoffen, einem zentralen Bestandteil der aktuellen Bemühungen, mineralische Bauabfälle bestmöglich in geschlossene Stoffkreisläufe zu überführen. Dass dies zwingend notwendig ist, zeigt allein schon das jährliche Aufkommen von mineralischen Bauabfällen. Bezogen auf die anfallenden Tonnen Müll entstammten 55 Prozent des in 2022 aufkommenden deutschlandweiten Abfalls aus Bau- und Abbrucharbeiten, die überwiegend im Straßen- und Tiefbau angefallen sind.

Der Hochbaubereich ist dennoch für rund ein Drittel aller mineralischer Bauabfälle verantwortlich – im Jahr 2018 waren dies laut Statistik rund 74,4 Millionen Tonnen Bauabfälle, insbesondere Bauschutt, der materialseitig größtenteils aus Beton, Mauerwerkssteinen sowie Keramikabfällen besteht, ergänzt um Holz, Glas, Kunststoffe, Metalle sowie Dämmmaterialien und Gipsbaustoffe – kurz und gut: Materialien, die von ihrer Grundbeschaffenheit und Recyclefähigkeit weit heterogener als die mineralischen Wandbaustoffe sind.

Einer der zentralen Fragen ist nun, wie die Wiederverwertungsquote bei den jeweiligen Bauabfall-Klasse tatsächlich aussieht. Das Umweltbundesamt (in Kooperation mit der Initiative „Kreislaufwirtschaft Bau) unterscheidet bei der Verwertungsquote von Bauabfällen zwischen „Recycling“ und „sonstiger Verwertung“.

Das „Recycling“ ist in diesem Zusammenhang stark von den Verwertungsmöglichkeiten, von bautechnischen und umweltrelevanten Eigenschaften sowie der stofflichen Zusammensetzung abhängig. Dies bedeutet daher nicht immer zwingend, dass aus den recycelten Gesteinskörnungen bzw. Granulaten auch immer die darauf beruhende Ausgangsprodukte hergestellt werden können.

Zudem muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass die rund 47 Millionen Tonnen recycelter Bauschutt komplett wieder in den Produktionsprozess mit einfließen, aus dem sie ursprünglich entstammen – etwa als Gesteinskörnung für die Herstellung von Recycling-Beton. In der Praxis wird das Gros des für das Recycling vorgesehene Bauschuttmaterial in seinem „zweiten Leben“ oftmals als Untergrund für den Straßenbau oder Bahndammaufschüttung verwendet. Diese Art der Verwertung hat für Kritiker nicht mehr viel mit „echtem Recycling“ (wie z. B. die Herstellung von Recyclingbeton) zu tun – sondern eher etwas mit Materialbeseitigung.

Ganz offiziell werden 16 Prozent der gesamten Bauschuttabfallmenge (= 9,6 Millionen Tonnen) indes von vorneherein der sogenannten „sonstigen Verwertung“ zugeführt. Im Fall von Bauschutt bedeutet dies die massenhafte Verfüllung von Abgrabungen oder schlicht die Verwendung im Deponiebau.

Die restlichen rund 6 Prozent (=3,6 Millionen Tonnen) des gesamten Bauschuttaufkommens landen letztendlich tatsächlich als „Müll“ in der Deponie und haben somit gar keinen weiteren Nutzen bzw. kein Wiederverwendungspotenzial mehr.

Dabei sind sich viele Fachleute sicher, dass im Bauschuttrecycling viel mehr Potenzial steckt, als es –pointiert formuliert – einfach im Straßenbau zu verbuddeln. An technischen Innovationen zur Verbesserung des Recyclingoutputs für die hochwertige Weiterverwendung von Bauschutt (also keine simple Umnutzung der Friktionen für den Straßen- und Deponiebau) fehlt es nicht.

Beispielsweise hat das Fraunhofer-Institut bereits ein technisches Verfahren entwickelt, bei dem die unterschiedlichen Hauptkomponenten von Bauschutt wesentlich zielgenauer und vor allem auch für feinere Körnungen geeignet, fast sortenrein getrennt werden können. Ziel ist es, auch den besonders feinkörnigen Bauschutt zu recyceln, der aus den Hauptkomponenten Kalksandstein, Ziegel, Beton und geringen Anteilen Gips besteht. Diese feinkörnigen Partikel könnte dann z. B. als Sand-Derivat oder bei der Porenbetonherstellung verwendet werden.

Auch im bereits seit Langem bekannten Verfahren der Recyclingbetonherstellung (RC-Beton) steckt Potenzial. So dürften die seit Jahrzehnten angebrachten Argumente, dass der RC-Beton in Bereichen der Beigezugfestigkeit, Betondruckfestigkeit bzw. der Elastizitätsmodule schlechter abschneide als der „normale“ Beton, langsam ihre Wirkung verlieren. Zum einen werden die Mischungen von RC-Betonen in ihrer Leistungsfähigkeit immer besser. Zum andern können RC-Betone durchaus bei Bauwerksteilen eingesetzt werden, die keine hohen Beigeanspruch aufweisen.

Etwas anders als beim Bauschutt verhält sich das Thema des Verbleibs bzw. Recyclings bei der Abfall-Kategorie „Baustellenabfälle“. Diese Konstellation aus stark heterogenen nichtmineralischen Baustellenabfällen sowie mineralischer Rest-Bestanteile in gemischten Bau- und Abbruchabfällen führte 2018 laut Statistik zu einer äußerst niedrigen Recyclingquote von gerade mal 1,8 Prozent. Dagegen wurde – und wird wohl auch noch heute – die überwältigende Mehrheit aller Baustelleabfälle (96,6 Prozent) der „sonstigen Verwertung“ zugeführt (also mehr oder weniger: verbrannt oder in Deponien vergraben).

Dies bedeutet in der Entsorgungspraxis, dass die brennbaren Bestandteile der rund 13,5 Millionen Tonnen Baustellabfälle thermisch verwertet (sprich: verbrannt) und die nicht brennbaren Abfälle zum Verfüllen genutzt werden. Zumindest werden gerade mal 1,3 Prozent der Baustellenabfälle in Deponien vergraben.

Hier wird also sehr viel Potenzial verschenkt. Sicher liegt ein Grund dafür in der aufwendigen sortenreinen Trennung von heterogenen Baustellenabfällen – die eigentlich das Fundament für ein hochwertiges Recyclingverfahren bildet. Allerdings bieten viele der Baumaterialien genügend Tipping-Points, um sie sinnvoller zu verwerten als einfach zu verbrennen oder vergraben.

Nehmen wir zum Beispiel Stahl oder Metalle als Bauabfälle. So wird auf der einen Seite der sich im Stahlbeton befindliche Bewährungsstahl nach dem Abbruch recycelt. Auf der anderen Seite gibt es in Bauwerken jedoch nicht allein Stahlbeton als Materialart, in dem Metall vorkommt.

Stahltüren, Stahlfenster, Treppen, Profile, Fassadenteile oder sogar ganze Tragwerke im Stahlbau sind Produkte, die sich für eine „Wiedergeburt“ anbieten – und auch bei den Baustellabfällen landen. Dabei ist es nicht zwangsläufig notwendig, dass alle Metalle gleich eingeschmolzen werden (was viel Energie verbraucht). Vor allem im Bereich des Stahlbaus muss verstärkt darüber nachgedacht werden, ganze Bauteile aus Rückbauvorhaben, so wie sie sind, woanders einfach wieder einzubauen.

Drittens: Urban Mining und die Möglichkeiten für die Industrie, sich am Recycling zu beteiligen
Generell sollte bei der Betrachtung von sich bald im Rückbau befindlichen Bestandsgebäuden ein stärkerer Fokus auf das sogenannte „Urban Mining“ gelegt werden. Und dies nicht nur im Hinblick auf die Frage, welche der verbauten Materialien sich für ein Recycling im Sinne von stofflicher Wiederverwertung eignen.

Zusätzlich lohnt es sich, in diesem Zusammenhang darüber nachzudenken, ob sich nicht sogar bestimmte Bauteile „eins zu eins“ in einem neuen Bauwerk weiterverwendet werden könnten. Allerdings können gewisse Bauteile des Wandaufbaus in der Baupraxis heute schon einer direkten Wiederverwendung zugeführt werden, wie unsere Expertinnen und Experten berichten.

Da natürlich nicht jedes Baumaterial zu einer Art von „Second-Hand-Produkt“ umgenutzt werden kann, bleibt eine große Menge an Baustellenabfallprodukten übrig. Vor allem Produkte, die aus Verbundmaterialien bestehen, erschweren das hochwertige Recyceln. Ein prominentes Beispiel (von vielen) für so eine Produktkategorie sind polysterolbasierte WDVS-Systeme.

Inzwischen gibt es jedoch ein niederländisches Pilotprojekt namens PS LOOP B.V (vormals PolyStyreneLoop B. V, welches jedoch bereits nach einem Jahr Konkurs anmelden musste), dass sogar HBCD-belastete Polysterolplatten industriell recyceln kann. Damit ist der Beweis erbracht, dass selbst diese problematische Materialkombination recyclebar ist – wenn auch mit einem gewissen Aufwand und Kosten.

Da jedoch die Erdölpreise zukünftig auf lange Sicht ansteigen werden, dürfte sich auch das stoffliche Recycling von Polysterol-Dämmstoffen eher rentieren (schließlich ist Rohöl bekanntermaßen der Grundstoff beim Polysterol), sobald das Polysterol nach der Trennung von Klebe- und Putzresten sortenrein vorliegt.

Generell wird sich die Recyclingindustrie wohl zukünftig stärker am Markt positionieren können, da sich deren Geschäftsmodelle bei immer stärker steigenden Rohstoffpreisen besser rentieren. Dies gilt auch für die Baubranche, in der das einsetzende Umdenken in Richtung einer grünen Bauwirtschaft mehr Spielraum und Nachfrage nach hochwertigem Recycling erzeugt. Doch ist das Bauen mit „gebrauchten“ Baustoffen nicht eine Gefahr für das Geschäftsmodell der Baustoffindustrie?

Die Antwort der Energieexpertenschaft: Nicht, wenn die Hersteller ihre Geschäftsmodelle anpassen und sich am Recycling beteiligen.  Wie eine solche Beteiligung am Recycling gehen soll? Bereits jetzt haben einige Hersteller aus der Bauindustrie nicht nur damit begonnen, Baumaterialien aus dem Rückbau wieder zurückzunehmen und damit zu experimentieren, daraus Rohstoffe (soweit aus dem Materialienverbund trennbar) wieder in die Produktion hineinzubringen.

Sicher kann Recycling nicht immer und überall in die Produktion mit einfließen. Aber auch im Bereich Serviceleistungen oder anderen attraktiven Geschäftsmodellen gibt es vereinzelt bereits Pionier-Ideen und neue Ansätze zu beobachten – etwa, indem Leasing-Modelle auf Gebäudebestandteile übertragen werden: Bekannt wurde etwa ein holländisches Start-Up, das unter anderem Ziegelsteine für 99 Jahre least, also praktisch über den Lebenszeiteitraum des Gebäudes verleiht.

Die Grenzen solcher Leasingmodelle sind offensichtlich – auch für viele unserer Befragten (die ja, wie man sich denken kann, dem Konzept gegenüber aufgeschlossen sind). Problematisch sind zum Beispiel womöglich die langen Lebenszyklen von Gebäuden: So sind z. B. die Eigentumsverhältnisse eines jetzt fertiggestellten Mietgebäudes in 99 Jahren noch völlig unbekannt – hier müssten praktikable und allgemein anwendbare Konzepte erst entwickelt und evtl. gesetzlich geregelt werden.

Weniger problematisch sieht es bei Bauteilen und Inventar mit ohnehin kürzerer Lebensdauer aus. Ein bekanntes Beispiel ist der Bodenbelags-Spezialist Tarkett: Das Unternehmen bietet Gebäudebesitzern die Option Teppichfußbodenfliesen auf absehbare Zeit anzumieten, statt sie zu kaufen.

Auch in anderen Branchen sind Vermietungs- oder verwandte Rücknahmemodelle denkbar. So gibt es z. B. Anbieter von Holzkonstruktionen, die anbieten, die Materialien auch zurückzunehmen – sollten sie in einer Art und Weise verbaut sein, die die Rücknahme auch ermöglicht.

Eine direkte Möglichkeit, wie mehr Hersteller aktiv dazu beitragen könnten, Materialkreisläufe zu schaffen (von der sie durch Einbindung des „zurückgewonnenen“ Materials in die eigene Produktion auch direkt profitieren könnten) ist, dem Kunden eine Rücknahmeerklärung anzubieten: d. h. eine Erklärung, durch die der Produzent sich bei Kauf des Produktes automatisch verpflichtet, das Material nach der Nutzung wieder zurückzunehmen.

Derzeit werden solche Rücknahmeerklärungen noch nicht verbindlich vom Gesetzgeber eingefordert – einige unserer Expertinnen und Experten halten es aber für durchaus denkbar, dass innerhalb der nächsten Jahre der bis dahin gewachsenen Druck aufgrund des Klimawandels steigt und dann zu einer solchen Regulierung führen könnte.

In der Zwischenzeit haben Hersteller, die sich im Sinne einer solchen „Extended Producer Responsibility“ freiwillig zur Rücknahme verpflichten, dadurch eine gute Option, sich als nachhaltiger Anbieter vom Wettbewerb hervorzuheben. Doch natürlich ist ein solches Angebot mehr als eine clevere Marketing-Serviceleistung.

Um dies anbieten zu können, müssen im Betrieb zuallererst die technischen und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass das eigene Produkt auf eine Weise hergestellt werden kann, die Zurücknahme erlaubt (also z. B. durch „sortenreine“, auseinandersortierbare Verbundweisen).

Auch die CO2-Reduktion bei der Produktion sollte selbstverständlich damit verbunden sein, etwa durch Herstellungsverfahren mit weniger (und möglichst nachhaltigem, d. h. nachwachsendem Material). Gleichzeitig sicherzustellen, dass das Geschäftsmodell sich rechnet und Gewinne erzielt, ist eine anspruchsvolle Aufgabe und erfordert zunächst Investitionen in neue Geschäftsmodelle.

Über die Studie
Dieser Artikel basiert auf Ergebnissen der Studie „Die grüne Bauindustrie – Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Klimaneutralität am Bau“ von BauInfoConsult behandelt. Auf Basis unserer repräsentativen Erhebungen unter bis zu ca. 600 Interviewpartnerinnen und -partnern aus Berufen und Gewerken wie Architektur, Bauunternehmen, Dachdecker-, Zimmerer-, Maler-, Trockenbau- und SHK-Handwerk und auf Grundlage von 28 Experteninterviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus Architektur, Fachplanung, Energieberatung, Bauwirtschaft, Hochschule/Forschung und Entwicklung, Wirtschafts- und Trendforschung, Consulting, Verbänden und Behörden wurde in der Studie detailliert untersucht …

  • welche energieeffiziente, nachhaltige und C02-neutrale Ansätze den Beitrag des Bauens zur Klimawende darstellen werden: Nachhaltigkeit & graue Energie vs. bloßer Effizienzfokus, Baubestands-Recycling vs. Neubaudominanz
  • wie die Bauprozesse sich durch das grüne Bauen verändern werden: nachhaltiges Potenzial der Digitalisierung, Fertigteilbau vs. Massivbau, Serialität in der Sanierung, Anforderungen an die Baustoffindustrie
  • welche politischen und legislativen Weichenstellungen in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu erwarten sind: künftiger Förderfokus & wo Regulierung und Normierung langfristig unvermeidbar sind
  • welche Änderungen bei der Nachfrage für Materialien, Bauteile und Systeme zu erwarten sind: Außenwand und -dämmung, Böden/Decken, Fenster/Türen/Sonnenschutz, Bauchemie und Befestigung, Dach, Heizung, Lüftung, Elektrizität und erneuerbare Energien, Smart Home
  • welche Bausektoren vor allem vom „grünen“ Wandel betroffen sein werden und welche Sektoren davon am stärksten profitieren: Potenzial und Folgen für den Eigenheimbau, Mietwohnbau, Nichtwohnungsbau
  • Die Folgen für das Marketing in der Bauwirtschaft: den Wandel kommunizieren statt Greenwashing

Die vollständige Studie ist bei BauInfoConsult zum Preis von 1.350 € zzgl. MwSt. erhältlich.

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