Blick über den Tellerrand: Drohen auch in anderen baustarken europäischen Ländern Turbulenzen im Wohnungsbau?

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Die Anzeichen verdichten sich, dass dem deutschen Wohnungsbau zwei schwierige Jahre ins Haus stehen könnten. Doch wie sehen die Erwartungen in den anderen baustarken europäischen Ländern aus? Schliddern zentrale europäische Wohnungsbaumärkte ebenfalls, oder handelt es sich bei den kolportierten Wohnungsbauturbulenzen hierzulande um eine isolierte deutsche Entwicklung? Prognosen des europäische Forschungs- und Beratungsnetzwerks Euroconstruct für die Top 5 baustärksten europäischen Länder (ohne Deutschland) erwarten keine großen Abstürze im Wohnungsbau, wobei einige Nationen in den vergangenen Jahren ebenfalls mit merklichen Erzeugerpreisanstiegen im Baugewerbe für neue Wohngebäude zu kämpfen hatten.

Prognose: keine tiefgreifende Baurezession in Europa
In letzter Zeit konnte man viele Informationen zu aufkommenden Turbulenzen im deutschen Wohnungsneubau lesen. Daher stellen sich wohl einige der international tätigen Bauakteure und Hersteller die Frage, wie es in den anderen europäischen Ländern aussehen wird. Nachdem der Wohnungsneubau in 2021 und 2022 bei den Euroconstruct-Ländern insgesamt leicht zulegen konnte – mit rund 1,8 Millionen fertiggestellten Wohnungen in 2022 –, deutet sich für 2023 und 2024 eine Phase leichten Rückgangs im europäischen Wohnungsbau an (vgl. Abb. 1), der jedoch in 2025 gestoppt werden dürfte.

Fokussiert man sich nun auf die fünf baustärksten europäischen Länder – in diesem Fall absichtlich ohne Deutschland, das normalerweise mit zu den Top 5-Baunationen zählt – erkennt man leicht unterschiedliche Dynamiken. So erwartet die Prognose, dass Wohnungsfertigstellungen in Frankreich in 2023 noch einmal leicht zunehmen werden und erst in 2024 einen kleinen Dämpfer erleiden (vgl. nochmals Abb.1).

Ganz anders hingegen die Entwicklung in Großbritannien: Hier dürften die Fertigstellungsentwicklung in 2023 und 2024 stagnieren. Diese Prognose sollte man jedoch mit einer Spur Skepsis begleiten, da die Folgen des Brexits auf die englische Bauwirtschaft nur schwer kalkulierbar sind. Momentan mehren sich Berichte darüber, dass die gesamtwirtschaftliche Situation im Vereinigten Königreich eher negativ ist, was auch die Bauleistung bzw. die Finanzierung im Wohnungsneubau dämpfen dürfte.

Für Italien lässt sich dagegen eher eine positive Fertigstellungsdynamik im Zeitraum bis 2024 antizipieren, die erst 2025 in eine Stagnation übergehen könnte. Ein Teil der Zuwächse in Italien dürfte auf das Konto des staatlichen Förderprogramms mit dem Namen „Superbonus“ gehen. Da in der Euroconstruct-Prognose auch genehmigungspflichtige Baumaßnahmen zur Fertigstellung neuer Wohnungen in bestehenden Bauwerken mit bilanziert werden, dürfte ein nicht zu verachtende Teil der italienischen Fertigstellungen durch dieses steuerliche Förderprogramm gepusht werden – wobei die Zukunft dieses Steuerprogramms unter der neuen Regierung Meloni unklar bleibt.

Für Spanien und Polen geht die Prognose von einem kurzfristigen Fertigstellungsrückgang im Jahr 2023 aus – wobei das Minus in Polen von rund 10 Prozent vergleichsweise kräftig ausfällt. Der für 2023 erwartete eher markante Rückgang in Polen kann mit der hohen Nervosität der polnischen Gesamtkonjunktur aufgrund des Kriegs in der Ukraine in Zusammenhang gebracht werden. So geht die Europäische Kommission in ihrer Herbstprognose davon aus, dass sich das polnische BIP-Wachstum 2023 merklich abkühlen wird und unterm Strich in 2023 nur um 0,7 Prozent zulegen könnte – was natürlich einen negativen Einfluss auf die Bauleistung ausüben dürfte.

Ab 2024 könnten die Fertigstellungen im Wohnungsbau in Polen und Spanien jedoch wieder Auftrieb unter die Flügel bekommen. Dabei weist der polnische Wohnungsbaumarkt eine Besonderheit auf. So liegt das jährliche Fertigstellungsniveau in Polen deutlich über dem Spaniens. Dies kann zum Teil damit erklärt werden, dass viele neue Wohnungen in den polnischen Ballungszentren (vor allem in Warschau) dem Trend immer kleiner werdenden Wohneinheiten folgen. Diese Mikroapartments (sogenannten Patodeweloperka) ähneln sehr stark den aus Tokio bekannten Pendants, die ebenfalls in hoher Stückzahl in großen Mehrfamilienhauskomplexen gebaut werden.

Unterm Strich ist somit erstmals nicht mit einem heftigen oder langfristigen Einbruch der gesamteuropäischen Wohnungsbaukonjunktur zur rechnen. Dennoch könnten einige Länder – ähnlich wie Deutschland –in den kommenden zwei Jahren mit Marktkorrekturen beschäftigt sein.

Problemfeld: Baupreise in Europa
Wie wenig anders zu erwarten, haben auch andere europäische Länder mit massiven Baupreiserhöhungen zu kämpfen. Viele der Gründe sind ähnlich gelagert wie bei uns in Deutschland: Materialverknappung, Inflation und sich ändernde Finanzierungsmodalitäten – wie etwa Zinserhöhungen. Die Preisdynamik in den von uns untersuchten Top 5 baustärksten europäischen Ländern zeigen dabei teilweise drastische Zuwachsraten bei den Erzeugerpreisen im Baugewerbe für neue Wohngebäude (vgl. Abb. 2).

Doch nicht alle Länder sind gleichermaßen von einer massiven Preisexplosion betroffen. Mit Ausnahme von Großbritannien, für das Eurostat nach der Umsetzung des Brexits keine Daten mehr erhebt, sind die Preiszuwächse in Italien bis zum Kriegsbeginn in der Ukraine noch in „akzeptablen Bahnen“ geblieben. So verzeichnet Italien für den Zeitraum vom letzten Quartal vor Beginn der Corona-Krise (Q4 2019) bis zum letzten Quartal vor Beginn des Krieges in der Ukraine (Q4 2021) bei den Erzeugerpreisen im Baugewerbe für neue Wohngebäude lediglich ein Anstieg von 3,1 Prozent (Vgl. Abb. 3).

Auch für den Zeitrahmen vom letzten Quartal vor Beginn des Krieges in der Ukraine (Q4 2021) bis zu den neuesten von der europäischen Statistikbehörde bereitgestellten Zahlen für Italien (Q 3 2022) liegt der Preiszuwachs noch leicht unter den Raten der anderen Top 5 Nationen (ohne Deutschland) – wobei sich Italien für diesen Zeitraum auf dem Niveau von Frankreich befindet.

Vergrößert man nun die Zeitspanne, so erkennt man, dass von den Top 5 baustarken europäischen Ländern vor allem Spanien und Polen merklich unter Verteuerungen im Wohnungsbau leiden. So schossen die Preise zwischen dem letzten Quartal vor Beginn der Corona-Krise (Q4 2019) und den neuesten statistisch verfügbaren Daten in Q3 2022 in beiden Ländern um rund ein Viertel nach oben (Polen +23,0 Prozent; Spanien +25,1 Prozent). Damit liegen diese zwei Nationen nur knapp über den durchschnittlichen Preiszuwachsraten in der EU (vgl. Abb. 3).

Dagegen muten die Entwicklungen der Erzeugerpreise in Italien und Frankreich für neue Wohngebäude im gleichen Zeitabschnitt (Q4 2019 vs. Q3 2022) geradezu „moderat“ an – wobei +15,2 Prozent Preisanstieg in Frankreich und + 11,2 Prozent Zuwachs in Italien unter „normalen“ Umständen einen massiven Preissprung dargestellt hätten.

Um diese Entwicklungen besser einordnen zu können, nehmen wir an dieser Stelle einmal die Daten von Eurostat zur Preisentwicklung für Wohngebäude in Deutschland hinzu – schließlich gehört Deutschland zu den baustärksten Länder in der EU (wir haben bis zu diesem Zeitpunkt Deutschland absichtlich zum besseren Verständnis aus der Analyse herausgehalten).

Den Angaben von Eurostat zufolge stiegen die Erzeugerpreise im Baugewerbe für neue Wohngebäude in Deutschland teils merklich kräftiger an als im europäischen Durchschnitt (vgl. Abb. 4). So zogen die Preise hierzulande vom letzten Quartal vor Beginn der Corona-Krise (Q4 2019) bis zu den neuesten verfügbaren Daten (Q3 2022) sogar um 30,5 Prozent an. Im direkten Vergleich zu der Entwicklung in Frankreich oder Italien wird somit deutlich, dass die Preisexplosion für die deutsche Bauwirtschaft einen größeren Impact gehabt haben dürfte.

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