Es ist schon ein bisschen gemein – doch manchmal ist es tröstlich zu wissen, dass es anderen auch schlecht geht. Das ist aber nicht der Grund, warum wir in diesem Artikel die kriselnde Entwicklung der Bauwirtschaften in den Niederlanden und Belgien mit den Problemen auf dem deutschen Wohnungsmarkt vergleichen. Denn die unterschiedlichen Problemlagen bringen auch andere Lösungsansätze hervor – und vielleicht lässt sich daraus auch für das deutsche Krisenmanagement die eine oder andere Strategie ableiten?
Der Artikel kurz zusammengefasst:
Die Baukrisen in Deutschland, den Niederlanden und Belgien wurden wie im übrigen Europa durch die EZB-Leitzinsen ausgelöst. Anders als in Deutschland sind vor allem in den Niederlanden zusätzliche Effekte an die Baurückgänge gekoppelt, etwa Engpässe bei der Strom- und Trinkwasserinfrastruktur und nicht zuletzt die Überdüngungskrise. Anders als in Deutschland ist in den Beneluxstaaten der Mietwohnbau wesentlich krisenfester als der private Eigentumsmarkt. In Belgien könnte der deutlich gesenkte Mehrwertsteuersatz bei Ersatzwohnbau eine positive Wirkung ausüben, während in Deutschland die schleppend verlaufenden Gegenmaßnahmen der öffentlichen Hand vor allem als Ärgernis für die Branche in Erscheinung treten.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den drei Ländern
Einige wichtige Einflussfaktoren auf den europäischen Wohnungsbau gehen über Ländergrenzen hinaus. Dies gilt vor allem für die Hypothekenzinsen, die stark vom Leitzins der EZB abhängen. Die Zinssätze sind in ganz Europa gestiegen und damit die Hauptursache für die Abkühlung des Immobilienmarktes ab 2022, die praktisch überall in Europa zu beobachten ist. Auch steigende Baukosten und Lieferprobleme sind Themen, die in vielen Ländern eine Rolle spielen. Auch der Fachkräftemangel ist ein internationales Problem.
Institutionelle Unterschiede und konkrete politische Maßnahmen spielen eine Rolle bei der Marktdynamik. Große Unterschiede gibt es etwa bei der Umweltqualität. In den Niederlanden und z. T. auch in Belgien spielt die Stickstoffproblematik eine Rolle. Zudem haben die Niederlande mit der Wasserqualität und der Trinkwasserknappheit zu kämpfen. Auch die Kapazität des niederländischen Stromnetzes kommt an seine Grenzen– konkret heißt das, dass nicht alle neuen Gebäude ans Stromnetz angeschlossen und daher nicht fertiggestellt werden können.
Die deutsche Misere ist vor allem kostenbestimmt – dazu kommt der Hang zur Bürokratie
Auf dem deutschen Markt bremsen vor allem die Bürokratie und das hohe Maß an Vorschriften die Genehmigungskonjunktur zusätzlich ein: Nicht zuletzt aufgrund mangelnder Digitalisierung der Behörden ziehen sich Genehmigungsverfahren teilweise um ein Jahr oder mehr in die Länge. Die äußerst hohen technischen Mindestanforderungen in den Neubauvorschriften befeuern die negativen Effekte der gestiegenen Baukosten. Dazu kommt die kaum budgetierte und sprunghafte Förderpolitik der Bundesregierung, durch die sich Förderanträge kaum lohnen bzw. oft genug nicht einmal mehr möglich sind.
Alexander Faust, Marktanalyst bei BauInfoConsult, Düsseldorf, sagt über die deutsche Genehmigungsvergabe: „Die Krise des deutschen Wohnungsneubaus ist vor allem eine Krise der Baunachfrage. Nicht etwa, weil eine besonders wichtige Gruppe der Auftraggeber, die privaten Haushalte, generell nicht mehr bereit wären zu investieren. Angespannt ist die wirtschaftliche Lage weiß Gott schon länger und trotz der nach wie vor hohen Kostenbelastung finden sich aktuell nach wie vor viele Verbraucher, die an ihr Erspartes gehen. Das zeigt der Boom bei der Heizungsnachfrage im letzten Jahr und der anhaltende Marktaufschwung für die sogenannten Balkon-Solaranlagen.
Das eigentliche Problem des Neubaus: Die Investitionsrisiken sind derzeit so hoch, dass sie kaum ein vernünftiger Mensch eingehen möchte. Die Kreditkonditionen sind historisch ungünstig, dazu erhöhen viele Kommunen die Grundsteuer. Fördermaßnahmen des Bundes sind stets so niedrig budgetiert, dass das Bisschen an verfügbarem Kreditvolumen stets nach wenigen Wochen aufgebraucht ist.
Und die Erzeugerkosten bei der Industrie mögen zwar wieder sinken, doch die Baupreise gehen vor allem durch die Personalkosten der Baubetriebe durch die Decke. Genau hier rächen sich die hohen technischen Mindestanforderungen an Neubauten, auf die man in Deutschland lange Zeit mit einem gewissen Stolz zu blicken gewohnt war. Denn (besonders teure) umfangreiche technischen Installationen und Dämmarbeiten werden durch diese Vorschrift alternativlos – ‚billig‘ zu bauen ist in Deutschland faktisch unmöglich.
Es ist deshalb kein Wunder, dass nicht nur Bauherrenverbände und Bauindustrie, sondern mittlerweile selbst die Produzenten von Baumaterial mit Nachdruck die lange angekündigte Einführung eines neuen ‚Gebäudetyps E‘ mit drastisch gelockerten Bauauflagen begrüßen. Im von Blockaden geprägten politischen Klima verzögert sich die Umsetzung von Maßnahmen jedoch oft allzu lange – so wie die im Spätsommer 2023 beschlossenen günstigeren Abschreibungen für Neubauten, die erst Ende März 2024 umgesetzt wurden und so den freien Fall der Genehmigungen bislang keiner Weise aufhalten konnten.“
Niederlande: Angebot und Nachfrage für Mietwohnungen pendeln sich wieder ein
Elitsa Kortenska, Marktanalystin bei BouwKennis, Rotterdam über die niederländischen Genehmigungen: „Die Erteilung von Genehmigungen ist seit Ende 2021 rückläufig. Die effektive Nachfrage nach Mietwohnungen steigt, während die Nachfrage nach Eigenheimen abnimmt. Dies ist vor allem auf die Angebotsseite zurückzuführen. Gegen die hohen Preise für (Einfamilien-)Eigenheime und eingeschränktere Finanzierungsmöglichkeiten ist ein Teil der bisherigen Nachfrage verschwunden. Mittlerweile scheint sich ein neues Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage abzuzeichnen. Ein wichtiger Teil der für Mietobjekte erteilten Genehmigungen wird von Investoren bezahlt. Generell ist diese Gruppe vor allem auf der Suche nach mittel- und längerfristigen Renditen und/oder dem Erhalt von Kapital. Dies führt zu einem erheblichen Teil zu kleinen Wohnungen mit relativ hohen Mieten (und oft sehr hohen Nebenkosten).”
Belgien: wenig Bauland, landesweit neue Ersatzneubaustrategie
Und was ist mit dem dritten Land im Bunde? „In Belgien beobachten wir – wie auch in den Niederlanden und Deutschland – seit 2021 einen Rückgang der Genehmigungen, allerdings in geringerem Ausmaß als in den umliegenden Ländern.“ berichtet Marc van Wijk, Belgienexperte bei BouwKennis. Ein Vorteil Belgien hat auch einen sehr langen Vorlauf, wenn es um die Erteilung von Genehmigungen geht, so van Wijk: „Auf der Liste der Weltbank liegt das Land auf Platz 172 von insgesamt 208 bewerteten Ländern. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ist vor allem die der Einfamilienhausmarkt betroffen. Der Verlust auf dem Geschosswohnungsmarkt blieb wie in den Niederlanden relativ begrenzt.
Positiv wirkt, dass 2024 endlich ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz für den Abriss und Wiederaufbau von Häusern beschlossen wurde. Bis vor kurzem galt dies nur in 32 größeren Gemeinden, aber jetzt wird auf diese Art von Projekten landesweit nur noch 6 % Mehrwertsteuer erhoben statt der regulären 21 %. Das gibt dem Wohnungsbau hoffentlich neue Impulse: Der lange Vorlauf zu dieser Entscheidung hatte wahrscheinlich eine große Gruppe potenzieller Kunden in einer Warteschleife geparkt. Der Verband Bouwunie gibt an, dass für viele Schlüsselfertigbau- und Generalunternehmen diese Art von Aufträgen ein Fünftel oder sogar mehr ihres Portfolios ausmacht.
Schließlich ist Bauland auch in Belgien knapp. Dies hat mit der vom flämischen Parlament im Mai 2023 verabschiedeten Bauverschiebung zu tun, die sicherstellen soll, dass bis 2040 keine Freiflächen mehr für die Urbanisierung genutzt werden. Das ist die belgische Umsetzung der EU-‚No Net Land Take‘-Strategie.”